Zur Ausbildung in Modedesign gehört Schnittkonstruktion. Das ist nicht unbedingt ein Lieblingsfach, wird meiner Meinung nach aber manchmal unterschätzt. Wer gute Schnitte machen kann, der kann erst recht gutes Modedesign machen. Wer damit noch nicht so sehr in Berührung gekommen ist, dem empfehle ich ein Praktikum. Danach kann sich die Einstellung zur Konstruktion ziemlich stark ändern.
Ich persönlich hatte Glück, denn ich habe in der Schule früher schon gerne Geometrie gemacht. Und als ich mir dann später als Teenager selber Sachen genäht habe, habe ich einfach nach Gefühl die Schnittteile freihand auf den Stoff gezeichnet und irgendwie hat es ganz gut gepasst. Offenbar hatte ich schon immer ein gutes Gefühl, zwischen 2-D und 3-D hin und her zu schalten. Das ging einigen KommilitonInnen von mir ganz anders. Eine hatte das Semester schon zum zweiten Mal wiederholt!
Aber so einfach zu verstehen fand ich es auch nicht , als ich mit Schnittkonstruktion im Studium zum ersten Mal konfrontiert wurde. Die eine Dozentin war eher etwas ermüdend, ein anderer unverständlich, Kauderwelsch… Nun gut, trotzdem mein Studienschwerpunkt im Design lag, ist mir das Erlernen der Schnittkonstruktion nie schwer gefallen – ich habe mich letztendlich darauf spezialisiert und sie ist zu meiner Leidenschaft geworden.
Ein Praktikum bringt’s
Von großer Bedeutung war hier vor allem im 5. Semester mein Praktikum bei Laurèl in der Modellabteilung. Ich durfte dort den Schnittmacherinnen helfen, und da ich mich offensichtlich gut angestellt habe, haben sie mich eine ganze Menge machen lassen. Ich habe dort viel gelernt. Die Praxis ist doch der beste Lehrmeister! Die Grundkonstruktionen waren jetzt keine Theorie mehr, sie hatten Sinn! Ich kann nur jedem von euch empfehlen, soviel ihr könnt aus euerm Praktikum herauszuholen und alles zu lernen, was man euch lernen lässt.
Klau mit den Augen!

Meine Meisterin in der Schneiderei, bevor ich zu studieren begann, sagte über mich, ich würde mit den Augen klauen. Das war ein echtes Kompliment. Bei Laurèl z.B. habe ich mir Anproben mit angesehen, und wenn ich nur geholfen habe, die Stecknadeln zu reichen, so konnte ich jede Menge dabei beobachten. Ich habe mich zu den Schnittmacherinnen neben den PC setzen dürfen, ihnen bei der Arbeit zugesehen und Fragen gestellt. Allein der Gedankenaustausch hilft manchmal, ein kniffliges Verarbeitungsproblem zu lösen, auch wenn der Austausch „nur“ mit einem mitdenkenden Praktikanten stattfindet. Ich durfte bald sogar die Futterschnitte für die Blazer ausarbeiten, allein weil ich durch Beobachtung soviel Wissen aufgesaugt habe und deshalb gelernt hatte, wie man das macht. Ich hatte aber auch entdeckt, dass hier meine Leidenschaft steckt! Diese ganze Praxiserfahrung kam mir in den darauf folgenden Semestern und natürlich in meinem späteren Berufsleben zugute.
Bewirb dich rechtzeitig um einen guten Praktikumsplatz!
Es gibt immer noch eine Menge Bekleidungshersteller in Deutschland, bei denen man ein Praktikum machen kann, sogar mit Vergütung – das ist heute nicht mehr so einfach, das weiß ich. Recherchiere im Internet, in der „Textilwirtschaft“, der „Rundschau“ sowie anderen Medien nach Bekleidungsunternehmen. Finde heraus, welche Person der oder die richtige AnsprechpartnerIn ist. Das ist wichtig! Denn möglicherweise gelangt deine Bewerbung sonst an jemanden, der nicht die Kompetenz und Befugnis im Unternehmen hat, über deine Einstellung als PraktikantIn zu entscheiden. Willst du also in die Schnittabteilung, dann finde heraus wer die Leitung der Schnittabteilung innehat, willst du in die Designabteilung, dann erkundige dich nach deren leitender Person.
Die Personalabteilung würde ich hier erst mal umgehen, wenn der betriebliche Ablauf es erfordert, wird man dir schon erklären, welchen Weg du in der entsprechenden Firma einhalten musst. Viel wichtiger ist es, dass du mit der Entscheiderperson deiner „Ziel“-Abteilung in persönlichen z.B. telefonischen oder Email-Kontakt trittst. Gib nicht gleich auf, wenn du nicht sofort eine Antwort erhältst. Diese Leute haben viel zu tun, respektiere das! Warte eine Woche und frag dann noch mal nach.
In kleineren Unternehmen ist die Auswahl an Ansprechpartnern wahrscheinlich nicht so groß, doch auch hier solltest du dich vorher über das Unternehmen informieren und die richtige Person kontaktieren.
Auch wenn du im Ausland ein Praktikum machen möchtest – finde die Entscheiderperson heraus und kontaktiere diese persönlich! Du erhöhst deine Chancen auf eine Einladung zum Vorstellungsgespräch enorm.
Frag nicht, was du lernen kannst, sondern überzeuge von deiner Nützlichkeit
Für jedes Unternehmen ist es sehr zeitaufwendig, Praktikanten etwas beizubringen, womit diese ihnen anschließend nützlich sein werden. Nur wenn die Firmen erkennen, dass sie es im Vorstellungsgespräch mit jemandem zu tun haben, der ihnen nicht die Zeit raubt, sondern ihnen wirklich auch leichter zu delegierende Arbeiten abnehmen kann, dann macht es für sie Sinn, diesen Praktikanten für einen bestimmten Zeitraum in ihr Team aufzunehmen. Es muss eine so genannte Win-Win-Situation entstehen können! Beschäftige dich bei deinen Recherchen also nicht nur damit, was du im Unternehmen lernen kannst, sondern bereite dich darauf vor, welche Fähigkeiten du dem Unternehmen zur Verfügung stellen kannst. Wenn du was von deinem Praktikum haben willst, dann musst du einfach was dafür tun!
Ich erinnere mich leider nicht mehr so gut an mein Vorstellungsgespräch bei Laurèl – das ist jetzt über 20 Jahre her. Aber ich habe mich sehr zeitig – ein halbes Jahr! – vorher beworben. Mit der damaligen Leiterin der Modellabteilung führte ich das Vorstellungsgespräch und kurz darauf bekam ich meine Vertragsunterlagen per Post zugesendet. Ich war wirklich happy! Und es hatte sich gelohnt, zeitig anzufangen, denn ich musste mich nur bei einer Firma bewerben – es war einfach noch jede Menge frei!
Bei Vivienne Westwood erinnere ich mich noch sehr gut, dass ich mehrmals anrief – ich hatte die Telefonnummer der richtigen Ansprechpartnerin herausgefunden – und musste immer wieder nachfragen, bis ich endlich zu einem Vorstellungsgespräch vorbeikommen konnte. Mein damals noch sehr mangelhaftes Englisch machte das Ganze nicht einfacher. Und dann brachte ich meine bestem Diplomteile mit in der Hoffnung, irgendwie Eindruck zu machen. Ich lag richtig, meine genähten Mäntel waren von sehr guter Qualität und ich konnte ein Praktikum antreten. Jemand, der gut nähen konnte, war nützlich. Alles andere konnte ich vor Ort beweisen. Und so lief es dann auch: Aus dem Praktikum wurde eine Festanstellung als Näherin und ein Jahr später konnte ich als Schnittmacherin arbeiten, nachdem ich genug Gelegenheit hatte, mit anzupacken und zu zeigen, was ich kann.
Gelegenheiten beim Schopfe packen
Während meines Studiums hing eines Tages ein Zettel am Nählabor: Firma Clasen suchte studentische Aushilfskräfte für verschiedene Tätigkeiten im Bereich der Bekleidungsentwicklung. Ich rief an und Bingo! – hier eröffneten sich für mich so viele neue Möglichkeiten, zu lernen und Gelerntes nutzbringend einzusetzen. Ich half aus beim Zuschnitt, Knöpfe anzunähen beim Fertigstellen der Kollektion, eingetroffene Verdopplungsware auspacken und deren Qualitätskontrolle – ich lernte soviel darüber, was alles notwendig war, um eine Kollektion mit auf den Weg zu bringen. Außerdem entdeckte man mein Talent für technische Zeichnungen von Hand, das war zu diesem Zeitpunkt noch so üblich, und vor allem war es in dem Moment sehr nützlich für die Firma. Diese Aufgabe wurde mein Job bei Clasen bis zum Ende des Studiums. Ich bin der technischen Leiterin bis heute dankbar für diese Unterstützung. Von da aus hatte ich dann auch den ersten Kontakt zu einer freiberuflich arbeitenden Schnittmacherin, die mir eine Assistenz bei ihr im Schnittatelier anbot, da sie diese Unterstützung zu dieser Zeit brauchte. So hatte ich also auch noch diesen Nebenjob während meines Studiums. Mit dieser Erfahrung konnte ich meine Diplom-Schnitte mit links entwickeln.
So kam einfach eins zum anderen. Das einzige, was mir vorher klar war, war dass ich in Zukunft als Schnittmacherin arbeiten wollte, und diese Klarheit bekam ich in meinem ersten Praktikum bei Laurèl. Und deshalb war ich offen für die Gelegenheiten, die sich mir anschließend boten. Ich habe einfach zugegriffen, wenn ich das Gefühl hatte, hier geht es in die richtige Richtung.
Wenn ich dir eins mit auf den Weg geben möchte, dann dass du in dich reinhörst, was du wirklich aus deinem Modedesignstudium oder welcher anderen Ausbildung auch immer mitnehmen willst für deine Zukunft. Sei offen und saug alles Wissen auf, das du kriegen kannst. Sei dir nicht zu schade, Knöpfe anzunähen oder Schnitte zu kopieren, du kannst IMMER was lernen! Und wer anpacken kann, ist auch gern wieder gesehen.
Herzlichst
Evelyn
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