
Enger Jersey Grundschnitt, einfacher Oberteilgrundschnitt, taillierter Oberteilgrundschnitt. Welchen verwendet man denn nun für welche Modelle?
Du kannst bei mir verschiedene Kurse buchen, um endlich einen Oberteilgrundschnitt nach deinen eigenen Maßen zu konstruieren. Aber welcher ist der Richtige für dich? Was für Modelle trägst du am liebsten? Welche Basis wird dafür benötigt?
Grundschnitte sind keine Modellschnitte. Es gibt keine tollen Nahtführungen wie z.B. Wiener Nähte oder Prinzessnähte oder Falten und Kräuselungen. Grundschnitte sind eine Arbeitsbasis, bei denen die Passform das Ziel ist.
Aus einem gut sitzenden Grundschnitt kannst du nach deiner Fantasie Modelle entwickeln durch Erweitern, neue Nahtlagen, Aufdrehen für Volumen, mit Kräuselungen und Falten etc. Wie das geht, zeige ich in meinen Kursen.
Auch in Guido Hofenbitzers Buch „Grundschnitte und Modellentwicklung - Schnittkonstruktion für Damenmode“* findest du eine Reihe von diesen Grundschnitten und sie unterscheiden sich alle ein bisschen. Aber worin?
In diesem Artikel möchte ich für dich ein bisschen Licht ins Dunkel bringen. Also bleib dran.
Jersey Grundschnitt


Dieser Grundschnitt liegt sehr eng am Körper. Er muss aus elastischem Material genäht werden, sonst kannst du dich darin nicht bewegen.
Vordere und hintere Mitte sind hier im Stoffbruch. Es gibt üblicherweise keine Taillenabnäher, denn das Material Jersey ist sehr dehnbar, kann eine Menge „Verzerrungen“ mitmachen und liegt immer noch schön glatt.
Außerdem ist Jersey - besonders die dünneren Qualitäten - sehr fragil. Wie du weißt, ist Jersey eine Maschenware, also gestrickt. Wenn du hier mit der falschen Nadel nähst oder nochmal auftrennen musst, ist der Stoff futsch und es laufen Maschen.
Die Taillierung wird hier also nur über die Seitennähte geregelt. Die Devise lautet: so wenig Abnäher wie möglich, so viele wie nötig.
Ich hatte mal eine Teilnehmerin im Kurs mit einer extrem weiblichen Taille - wie bei einer Sanduhr. Es sah toll aus, aber hier kamen wir mit der üblichen Taillierung nicht weiter.
Irgendwann kommt auch Jersey an seine Grenzen. Um diese Rundungen zur Geltung zu bringen, braucht es dann eben doch Abnäher.
In kleineren Größen bis etwa Größe 40 kommt der Jersey-Grundschnitt ohne Brustabnäher aus. Dennoch würde ich immer einen Brustabnäher konstruieren und ihn anschließend herausmodellieren. Wie das geht, zeige ich z. B. im Kurs.
Bei größerer Oberweite profitiert die Passform vom Brustabnäher. Oft sieht man bei gekauften T-Shirts Falten, die seitlich von der Brust wegziehen und die genau den Abnäher bilden, den das Shirt eigentlich gebraucht hätte. Allerdings muss man auch damit leben, dass durch die Bewegung beim Tragen immer hier und da eine Falte entsteht.
Das Armloch am Jersey-Grundschnitt ist relativ eng. Der passende Ärmel ist ebenfalls eng und lässt sich glatt ohne Mehrweite ins Armloch nähen. Das sieht sehr schön schlank aus, funktioniert aber nur in elastischer Ware wie Jersey.
Diesen Grundschnitt verwendest du also für eng anliegende Stretch Oberteile und auch Stretch Kleider aus Jersey oder enge Sportoberteile wie z.B. Tanztrikots. Durch entsprechende Erweiterung und Modellierung kannst du auch lockere Jersey Modelle entwickeln, die schön fließend fallen, wenn sie in einem Viskosejersey genäht sind.
Du kannst z. B. in der Taille eine Naht legen und einen Halbkreis als Rock annähen. Je nach Länge hast du dann ein Shirt mit einem Schößchen oder ein Jersey Kleid mit schwingendem Rock. In dem Buch „Oberteile und Kleider aus Jersey nähen: Ein Schnitt - 1000 Styles“* habe ich mit Sylvie Rasch durchgespielt, wie man aus einem Raglanshirt durch einfache Abwandlungen und Details ein Baukastensystem für seine Jersey Garderobe aufbauen kann. Im Buch ist allerdings schon der fertige Schnittmusterbogen enthalten, aber es zeigt die Vielfalt der Möglichkeiten mit wenigen einfachen Mitteln.
Die Konstruktion von Rumpf und Ärmel ist verhältnismäßig leicht, wenn man bereits mit Schnittmustern gearbeitet hat und ein wenig Verständnis für die Formen und Funktionen der verschiedenen Schnittteile entwickelt hat.
Einfacher Oberteilgrundschnitt


Ein ganz anderes Tragegefühl hast du mit Modellen aus dem einfachen Oberteilgrundschnitt. Dieser Grundschnitt ist gut geeignet für Frauen, die gern lockere Blusen und Oberteile tragen mit einem bequemen Armloch.
Die Konstruktion ist etwas aufwendiger als der Jersey Grundschnitt.
Auch hier sind die vordere und hintere Mitte gerade, können also im Stoffbruch geschnitten werden, wobei man bei Blusen und Jacken in der vorderen Mitte natürlich den Verschluss anbringen würde - in den meisten Fällen jedenfalls 😉 .
Insgesamt ist der Grundschnitt viel weiter. Wenn du den aus einem gewebten Stoff nähst, dann kannst du dich daran gut bewegen. Je nachdem wie tailliert du deine zukünftigen Modelle haben möchtest, kann der Grundschnitt Taillenabnäher haben - entweder nur im Rückteil oder auch im Vorderteil.
Für den Brustabnäher gilt das Gleiche wie beim Jersey Grundschnitt. Meine Empfehlung ist immer, den Brustabnäher mit zu konstruieren (es gibt Anleitungen ohne Brustabnäher) und diesen dann später je nach Oberweite zu minimieren oder ganz verschwinden zu lassen durch entsprechende Modellierung.
Das Armloch bei diesem lockeren Grundschnitt ist relativ groß und komfortabel. Da es verhältnismäßig tief ausgeschnitten ist, kann man hier keinen engen Ärmel konstruieren. Dafür benötigt man einen Blusenärmel, der den Komfort des weiten Armloches aufnimmt und auch am Oberarm nicht einengt und der glatt ins Armloch eingenäht werden kann.
Blusen sind das klassische Beispiel für die Verwendung dieses Grundschnittes. Du kannst aber auch lockere Jacken, Blousons und Mäntel daraus entwickeln oder eine schöne Tunika. Unten siehst du ein Foto von einem wunderschönen Tunikakleid mit Stufenrock, das auf dem einfachen Oberteilgrundschnitt basiert.

Tunikakleid

meryl streep / Alamy Stock Foto**
In dem Film „Jenseits von Afrika“ trägt Meryl Streep all diese tollen 20er und 30er Jahre Outfits, unter anderem diesen schmal sitzenden eleganten Blazer. Um den zu entwickeln, brauchst du den taillierten Oberteilgrundschnitt als Basis.
Taillierter Oberteilgrundschnitt
Der taillierte Oberteilgrundschnitt ist sozusagen die „Crème de la Crème“ unter den Oberteilgrundschnitten. Wenn man diese Konstruktion verstanden hat, kann man die meisten Oberteilkonstruktionen daraus abwandeln. Das ist allerdings nicht so einfach und es bedarf dazu einiger Übung und Erfahrung. Wenn man nicht sowieso schmal geschnittene Kleider oder Jacken für sich entwickeln möchte, dann ist es für Einsteiger besser, erst mal mit dem einfachen Grundschnitt oder dem für enge Jersey Oberteile zu beginnen.
Beim taillierten Grundschnitt ist die hintere Mitte gebrochen, d.h. sie ist nicht gerade und kann nicht im Stoffbruch gelegt werden. Bei Etuikleidern liegt dann die vordere Mitte im Bruch, in der hinteren Mitte gibt es eine Naht, in die man den Nahtreißverschluss einnähen kann.
Die gebrochene hintere Mitte bildet einen Teil der Taillierung, die sich in den Seitennähten fortsetzt. Außerdem gibt es einen Abnäher im Vorderteil und ein bis zwei Abnäher im Rückteil. Hier kann man also das Kleidungsstück sehr gut nah an den Körper formen.
Am Brustabnäher führt in diesem Grundschnitt kein Weg vorbei. Für bestimmte Modelle kann man diesen natürlich wieder wegmodellieren, aber das kommt später - nach dem Grundschnitt 😉 .
Das Armloch ist bei diesem Oberteilgrundschnitt relativ klein. Das ist wichtig, denn je enger der Schnitt am Körper sitzt, desto dichter muss das Armloch unter der Achsel sitzen, sonst wird die Bewegung eingeschränkt.
Dazu wird ein schmaler Ärmel konstruiert, der mit etwas Mehrweite in das Armloch eingesetzt wird. Dieser Ärmel wird nicht, wie gern bei Blusen und Shirts praktiziert, mit geöffneter Seitennaht eingenäht, erst recht dann nicht, wenn der Ärmel zwei Nähte hat. Schulter- und Seitennähte sowie Ärmelnähte werden erst geschlossen, dann wird der Ärmel eingenäht. In meinen Kursen zeige ich den Teilnehmerinnen, wie das geht.
Das berühmte kleine Schwarze ursprünglich von Coco Chanel ist ein Klassiker, ein Etuikleid aus dem taillierten Oberteilgrundschnitt. Kleine eng sitzende Kastenjacken (wo wir schon mal bei Coco Chanel sind), ebenso taillierte Mäntel und Blazer werden aus dem engen Oberteilgrundschnitt entwickelt. Engere Blusen funktionieren ebenfalls sehr gut, wenn man lieber eine Bluse mit schmalem Ärmel haben möchte.

Chanel jacke
Deine Entscheidung
Überlege dir also zunächst, welche Art von Oberteilen du am liebsten und häufigsten für dich nähen möchtest.
Wie schätzt du dein Verständnis für Schnittkonstruktion ein?
Grundsätzlich sind alle Oberteilkonstruktionen nicht einfach. Sie erfordern dein räumliches Vorstellungsvermögen, dein geistiges Umwandeln von 2D in 3D und zurück. Da du gern nähst, sieht es schon mal gut aus für dich, denn da brauchst du diese Geschicklichkeit bereits. Rechnen ist auch keine Kunst, dafür gibt es notfalls Taschenrechner im Handy. Das Verstehen von Formeln in der Konstruktion ist für einige schon etwas schwieriger. Manche brauchen dafür etwas mehr Zeit, aber daran sollte das Schnittzeichnen nicht scheitern.
Darum solltest du dir überlegen, welche Methode des Schnittzeichnen-Lernens für dich geeigneter ist. Reicht dir ein gutes Buch oder lieber ein Video. Ist ein betreuter Onlinekurs das Richtige oder lieber die ganz persönliche Betreuung in einer kleinen Gruppe von 2-3 Leuten oder sogar Einzelcoaching. Es ist alles möglich, aber du musst diese Entscheidung für dich treffen, damit du später nicht enttäuscht bist.
Hast du schon mal den Rockgrundschnitt nach meiner Anleitung konstruiert? Am besten zusammen mit der Anleitung zum Drapieren des Rockgrundschnittes an der Puppe. Das wäre ein guter Einstieg. So bekommst du auch ein Gefühl, ob du lieber einfacher beginnen möchtest oder gleich richtig loslegst.
Ich möchte, dass du realistisch einschätzt, was zu dir passt. Es wäre schade, wenn du ungeduldig schnell und günstig mit dem aufwendigsten Grundschnitt beginnst und nachher die Flinte ins Korn schmeißt, weil du dich überschätzt hast.
Schnittkonstruktion lernen heißt
ausprobieren und verbessern
hinfallen und aufstehen
trial and error
Geduld ist absolut wichtig!
Geduld hast du bereits beim Nähen lernen bewiesen, jetzt brauchst du noch ein bisschen mehr, aber es lohnt sich!
Ich wünsche dir viel Erfolg mit deinen Oberteilkonstruktionen, für welche auch immer du dich zuerst entscheidest, und ganz viele Ideen für deine neuen Kleider (die hast du wahrscheinlich schon 😉 ).
Bleib kreativ!
Deine Evelyn
* Affiliatelink, der dich zu dem Produkt auf amazon weiterleitet.
** B7W6W6 Out of Africa Year: 1985 USA Meryl Streep Director : Sydney Pollack. Image shot 2004. Exact date unknown. / Photo 12 / Alamy Stock Photo
Hallo Evelyn, ich bin sehr begeistert von deiner Art und Weise, wie du dein Können rüber bringst. Schaue dir sehr gerne zu. Werde in Zukunft dir noch mehr folgen. Alles Gute und weiter viel Erfolg. Lieber Gruß Elvi Wolff
Liebe Elvi, danke für deine Wünsche. Es freut mich, wenn du von meinem Wissen profitieren kannst. Auch dir alles Gute!