Mit der Herstellung von Bekleidung habe ich mich schon sehr früh in meinem Leben beschäftigt – genau genommen mit 10 Jahren. Wir hatten Nadelarbeit in der Schule, das wurde nicht an jeder Schule angeboten, aber bei uns hatte man gerade eine Lehrerin dafür gefunden. Wir sollten uns eine Schürze zum Umbinden nähen – von Hand! Meine Mutter hatte aber eine Nähmaschine, warum sollte ich mich also quälen? Ich fragte meine Lehrerin, ob ich die Schürze auch an der Nähmaschine nähen darf und sie erlaubte es wohlwollend. Von da an war die Nähmaschine ein wichtiges Utensil für mich geworden – der Weg zum eigenen Schnittstudio aber noch weit.
Als ich etwa 13 war, waren Blousons und leichte Baumwollhosen bei uns im Neubauviertel in. Ich hatte nun schon einiges an Kleidung für mich selber genäht und nun fragten mich sämtliche Teenies aus meiner Straße, ob ich ihnen so was nähen könnte. Dafür brachte mir jeder ein Bettlaken vorbei, für Tascheneinsätze wurden Netzhemden zerschnitten. Man hatte gelernt zu improvisieren. Die Schnitte machte ich selbst. Ich nahm den Leuten Maß und zeichnete alles gleich auf den Stoff. In kurzer Zeit hatte ich mir genug Geld erarbeitet, um mir meinen ersten Traum zu erfüllen – ein Moped: eine S51-elektronik von Simson.
Modedesign-Studium
Später wollte ich dann Modedesign studieren, da ich auch ganz gut zeichnen konnte, aber das sollte nicht so schnell klappen. Erst nach der deutschen Wiedervereinigung bekam ich meine Chance, nachdem ich eine Weile als Schneiderlehrling gearbeitet hatte. Mir eröffnete sich endlich die Möglichkeit, alles rund um die Bekleidungsentwicklung zu lernen und herauszufinden, was mir am meisten Spaß machte. Nach meinem Praktikum im fünften Semester in der Modellabteilung von Laurèl in München wusste ich es ganz genau: Ich wollte einfach nur Schnitte entwickeln!
Arbeiten bei Vivienne Westwood
Nach Abschluss meines Studiums und jeder Menge weiterer gesammelter Erfahrungen in studienbegleitenden Jobs, in denen ich meine Fähigkeiten als Schnittmacherin ausbauen konnte, stieg ich Anfang 1998 über ein Praktikum bei Vivienne Westwood ein. Es machte mir wahnsinnig viel Spaß dort, aber es war nicht einfach, nur mit einem Stipendium in London zu überleben. Ich wünschte mir nichts mehr, als eine Festanstellung bei Vivienne zu bekommen. Das ging schneller, als ich mir erträumt hatte, denn meine Nähkenntnisse und mein technisches Verständnis für die aufwendige Verarbeitung der tollen Roben und Korsette wurden dort sehr geschätzt – und so nähte ich. Ein Jahr später, ab Frühjahr 1999, erarbeitete ich in diesem tollen kreativen Team von Schnittmachern und Designern selber Schnitte. Es machte so viel Spaß und ich habe außerordentlich viel gelernt – mal ganz abgesehen davon, was ich alles mit erleben durfte: Fashionshows in Paris und Mailand, natürlich hart arbeitend hinter den Kulissen!
Mein Weg zum eigenen Schnittstudio
Irgendwann sah ich das Potential darin, mit einem elektronischen Schnittprogramm zu arbeiten und eine Menge Arbeit zu vereinfachen. Ich wollte, wie ich es gelernt hatte, meine Schnitte an der Puppe entwickeln und die Ausarbeitung zu einem ordentlichen Muster- bzw. Produktionsschnitt lieber am PC fertig stellen. Erstens war das genauer und zweitens waren Schnittteile am Rechner viel schneller kopiert als von Hand. Doch diese Möglichkeit der Weiterentwicklung sah ich in London nicht. Da entschied ich mich für den Schritt in die Selbstständigkeit. Und diese Entscheidung führte mich zurück nach Deutschland – nach Berlin!
Portfolio
Ich entwarf für mich ein paar Visitenkarten, ging „Klinken putzen“ bei diversen Bekleidungsherstellern in Berlin und bot unverbindlich meine Arbeit als freie Schnittmacherin an. Es dauerte nicht lange und ich hatte meinen ersten Auftraggeber an der Hand, welcher für Jahre immer wieder mein wichtigster Auftraggeber bleiben sollte, die Firma Frank Henke Mode. Von meinen beruflichen Erfahrungen, die ich bei Vivienne Westwood gemacht hatte, wollten auch andere profitieren und ich wollte sie nicht enttäuschen.
Bald konnte ich mir wieder einen Traum erfüllen: meinen erste eigene Lectra-Lizenz. Hinzu kamen nach und nach die gesamte technische Ausstattung wie Digitalisiertisch und Plotter natürlich nebst Zuschneidetisch und diversen Schneiderpuppen. Mein Atelier ist mein Spielplatz!
Seit dieser Zeit – 2002 – erarbeitete ich für die verschiedensten Genres in der Bekleidung Schnitte. Firmen und Designer wie Unrath & Strano, Wunderkind, JOOP! Womenswear, Mari Otberg, Michalsky, Jil Stewart NY, Sorelle Fontana, Clasen, Walter Krines, Bernhard Allner, „Kissa“ Pauli und das Staatstheater Cottbus gehören zu meinem Portfolio.
Dozentin für Schnittkonstruktion
Zwischendurch hatte ich auch die Gelegenheit, Modedesignstudierende der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (damals noch FHTW) sowie der Akademie für Modedesign (AMD) in Berlin zu unterrichten in Schnittkonstruktion – eine Tätigkeit, die mir ebenfalls viel Spaß gemacht hat. Besonders hier habe ich mich sehr viel mit der Theorie der Schnittkonstruktion auseinandergesetzt. Über die Zeit habe ich verschiedene Schnittkonstruktionssysteme vergleichen können und angefangen, meine eigenen Grundkonstruktionen zu entwickeln. Ich habe immer wieder erlebt, dass es gerade für Modedesignstudierende eine echte Herausforderung ist, sich mit diesem doch sehr technischen Teil der Bekleidungsentwicklung anzufreunden. Dennoch ist dieser Bestandteil ein wesentlicher und ich wünsche mir, dass es mir gelingt, mit meinen Beiträgen Spaß und Verständnis für die Schnittkonstruktion zu vermitteln, so dass Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Können zum Erfolg verhelfen.
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Herzlichst
Deine Evelyn